Die Fasnacht

Begonnen hat es im alten Rom. In Erinnerung an das paradiesische Zeitalter, da Gott Saturn auf Erden herrschte, beging man um die Wintersonnenwende die "Saturnalien". Man schmauste und trank, war fröhlich und guter Dinge, liess Kampf und Streit ruhen und bestrafte keine Sünder. Ausserdem durften sich Sklaven wie Freie kleiden und sich ungehindert unter das Volk mischen. Diese Lustbarkeiten schoben sich in die vorösterliche Zeit. Die Kirche fügte dann das tolle Treiben in den Rhythmus ihrer Feste ein. Bis der Fastenruf "Carne vale - Fleisch lebe wohl"!, erscholl, sollte sich das Volk austoben - ungeniert und deshalb maskiert.

Bald breitete sich das derb-fröhliche Treiben nach Mitteleuropa aus. Ueberall traten ihm alte Bräuche entgegen. In der alemannischen Schweiz war es das heidnische Fruchtbarkeitsfest, das im christlichen Fase-Fest aufging. Fase und Fasten wurden sprachlich vermischt mit Fasnacht. Bei den Alemannen war der Winter mit seinem dürftigen Tageslicht die heilige Zeit des Totenkultes. Da aber die Geister der Abgeschiedenen böse und rachsüchtig sind und wiederkommen, sich jemand in ihr Schattenreich zu holen, wurden Zaubermittel in Form von Maskentänzen und Lärmumzügen angewendet. Diesen primitiven Demonstrationen lagen religiöse Demonstrationen zu Grunde: Die Bannung böser Geister und Dämonen und die Fruchtbarkeitserzeugung. In unseren Fasnachtsbräuchen haben sich, von der Kirche umgedeutet, aber weiterhin geduldet, Gewohnheiten erhalten, die zurückgehen auf jene fernen Tage, da die Alemannen in Tiermasken die Geister beschwörten und die Götter der Fruchtbarkeit um ihre Huld baten.

Alle drei Jahre wird an Martini der neue Hudivater erkoren, der auch seinen Vice-Hudivater vorstellt. Früher erfolgte die Wahl am Schiessvereins-Montag, dem Jahresgedächtnis des Militärschiessvereins. Dem Lauf der Zeit gehorchend, wurde der ursprüngliche Feiertag auf den dritten Samstag im Januar vorverlegt. Auftakt der Walchwiler Fasnacht ist die Strassenfasnacht an diesem Tag und das feierliche Zeremoniell der Einsetzung des Hudivaters und seines Begleiters. Der Hudivater regiert die Walachei mit seinem Zepter aus Kastanienholz, verziert mit dem Cheschtene-Igel. Abschliessend zu diesem Eröffnungsball lüftet der Hudivater ein bis dahin sorgfältig gehütetes Geheimnis: Die Präsentation seiner Hudimutter und der Vice-Hudimutter. Diese sollen gemäss der Tradition junge, unbescholtene Töchter aus der Gemeinde sein.

Beim Masgeradenlaufen, wie die Strassenfasnacht früher genannt wurde, führen traditionellen Figuren einen Besen mit. Sie tauchen ihn im Brunnen und verfolgen dann die Jugend, zumal die jungen Mädchen, die sie gründlich bespritzen. Auch hier lebt alemannischer Fruchtbarkeitszauber, denn fliessendes Wasser bedeutet ein altes Symbol für Fruchtbarkeit. Andere Masgeraden schwingen an einem kurzen Stecken die Saublater. Hinter dem Sinn dieser Masken sind Winterkobolde oder Frühlingsboten zu suchen. Heute sind es Orangen, früher wurden meist kleine Brötchen und Dörrobst ausgeworfen. Die Gaben müssen aber durch die Luft fliegen, denn die Masken haben dämonischen Charakter und Dämonen werfen unter geheimnisvollem Rauschen ihre Gaben durch die Luft.

Ob es sich um Larven aus Holz, Metall, Leder, Stoff oder Pappe handelt, wie sie der alte Volksbrauch kannte, oder um unsere eigene, weniger starre Maske, die wir nur ablegen wenn wir allein sind. Der Sinn ist Steigerung der Macht und Lust durch das Hineinschlüpfen in eine neue Rolle, mit der man sich mehr oder weniger identifiziert. Die Maske, die man trägt, ist Lüge und Wahrheit. Sie ist Lüge, weil wir auch hinter ihr bleiben, was wir im Alltag sind, sie ist Wahrheit, weil sie oft ein erlösendes Bekenntnis ist.

Mehrere Veranstaltungen bieten eine abwechslungsreiche Fasnachtszeit. Höhepunkt im Wahljahr des Hudviaters ist der Umzug vom Sonntag, an dem das ganze närrische Volk auf den Beinen ist. Mit der Kinderbescherung am Güdelzischtig und anschliessender Uslumpete wird die Fasnacht beendet.

Am Aschermittwoch beginnt die 40-tägige Fastenzeit zur Vorbereitung auf Ostern. Genau genommen sind es 44 Tage. Doch die vier Sonntage sind keine Fastentage.